euha
Mitglied
|
Hier ist der Artikel:
Der DDR-Comic "Die Abrafaxe" hat sich
nach 25 Jahren zum internationalen Medienprodukt entwickelt
Von Stefan Genrich (Hamburg)
Was drei Comic-Figuren aus der ehemaligen DDR im Laufe der Zeit so alles
passieren kann: In ihrem ersten Abenteuer vor einem Vierteljahrhundert
lernten die Abrafaxe einen Harlekin an der
Adriaküste des 18. Jahrhunderts kennen. Später trafen sie Don Quixote im
Spanien des 16. Jahrhunderts, ein Flaschengeist versetzte sie zu den
Kreuzzügen, sie gerieten in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen zwischen
Heinrich dem Löwen und Kaiser Barbarossa, und sie arbeiteten im
Orient-Express.
Mal ging es bei den pfiffigen Kerlchen mit Zauberei zu, mal streng
wissenschaftlich, aber stets gewürzt mit Anspielungen auf Alltag und
Gesellschaft. Und genau das passte nicht den Funktionären des inzwischen
verschwundenen Staates, in dem die Wiege der gezeichneten Pfiffikusse stand
und dessen Image als Langweiler vom Dienst gar nicht zur heiteren Comic-Welt
passen will: Die Abrafaxe starteten Anfang 1976 in
der DDR, in der Januarausgabe des monatlichen Mosaik-Heftes. Jetzt werden sie
25 Jahre alt.
Für das Überleben der DDR-Figuren in der Marktwirtschaft sorgte Klaus Schleiter. Der Inhaber einer Werbeagentur gründete 1991
mit Geschäftspartnerin Anne Hauser-Thiele den Verlag "Mosaik - Steinchen
für Steinchen", um das Mosaik, Abrafaxe-Sonderhefte
und andere Comics herauszugeben, darunter das 1999 nach fast 20-jähriger
Totenstarre wieder belebte ZACK. Das Magazin prägte mit seinen
Fortsetzungsstorys wie kein anderes die westdeutschen, österreichischen und
Schweizer Sprechblasen-Fans der siebziger Jahre und machte sie umfassend
bekannt mit der großen Comic-Tradition vor allem Frankreichs und Belgiens.
Unbequeme Geschichten
Trotzdem ging ZACK 1980 plötzlich zu Grunde. Schleiters
Verlag hat das alte Konzept aufgefrischt, ergänzt die bunten Bilder mit
ambitionierten redaktionellen Seiten und nutzt die Zeitschrift nebenbei als
PR-Plattform für die Abrafaxe-Comics.
Die DDR-Staatsmacht fasste Comics als Ausgeburt westlicher Dekadenz auf, so
dass die wenigen Ost-Varianten unter der Flagge Bilder- oder
Kinderzeitschriften segeln mussten. Mosaik-Gründer und -Chef Johannes
Hegenbarth führte unter dem Pseudonym Hannes Hegen sein Projekt seit 1955
durch die Klippen der trockenen Politbürokratie. Sein Einsatz ermöglichte dem
Magazin einen hohen Bekanntheitsgrad, und viele DDR-Zöglinge erinnern sich
noch heute zärtlich an Hegens Hauptfiguren, die Digedags. Die mussten sich
allerdings Ende 1975 in den Vorruhestand zurückziehen und den Weg für die Abrafaxe frei machen.
Hannes Hegen hatte nämlich bei Verhandlungen mit dem damals verantwortlichen
Verlag Junge Welt und gegen den dahinter stehenden Zentralrat der Freien
Deutschen Jugend (FDJ) zu hoch gepokert. Der Mosaik-Vater hatte auf seine
scheinbare Unersetzlichkeit gesetzt und vorbeugend gekündigt, um den
sozialistischen Jugendverlag seinen Wünschen gefügig zu machen. Doch der
zeigte ihm die lange Nase.
Sicher ist, "dass Hannes Hegen unbequem war", so der Historiker und
DDR-Comic-Experte Michael Scholz. Führende Funktionäre hätten ihn schon in
den sechziger Jahren los werden wollen. Die
SED-Langweiler fanden es nicht unbedingt lustig, wenn beispielsweise eine
Eule die DDR-Lösung für marode Häuser kritisierte: "Nanu, wer hat denn
mein gemütliches Nest abgerissen und diesen Riesenneubau dafür
hingesetzt?"
Anders sieht das der Vorsitzende des Leipziger Mosaik-Clubs Alex, Thomas
Wilde: Hegen habe ganz einfach "ein größeres Zeichnerteam, mehr Geld für
das Magazin und mehr Gehalt" herausschlagen wollen.
Mit dem kühnen Abrax, klugen Brabax
und liebenswerten Califax als neue Figuren machte
das Kollektiv dann einfach ohne Hegen weiter. Das schmerzte ihn so sehr, dass
er 1976 und zu Beginn der Neunziger Jahre Gerichtsprozesse um die
Namensrechte am Mosaik führte. Als Gegner suchte er sich zuletzt ausgerechnet
Schleiter aus, der nichts mit dem Zerwürfnis zu tun
hatte. Die salomonische Konfliktlösung der Justiz: Das Mosaik darf in
gewohnter Weise erscheinen, aber Hegen behält die Rechte an der Bezeichnung
"Mosaik von Hannes Hegen". Unter diesem Siegel gibt der Buch-Verlag
Junge Welt, der entgegen dem Anschein nicht aus der FDJ-Konkursmasse stammt, Reprints der Digedag-Geschichten
heraus.
Auch Ärger mit der Treuhand und den Neuaufbau von Lithografie, Druck und
Abo-Verwaltung hat Mosaik - Steinchen für Steinchen gemeistert. Den deutschen
Vertrieb hat der Axel Springer Verlag übernommen. Im Jubiläumsjahr 2001
erschien bereits ein Geburtstagsbuch, und die ergänzende Produktpalette soll
bald noch mehr als die bereits vorhandenen Hochglanzalben, Hörspiele und
Kinderkrimis umfassen. Im Frühjahr startet ein gemeinsam mit der Universal
produzierter Abrafaxe-Kinofilm. Zudem ist eine
Zeichentrickserie für das Fernsehen in Vorbereitung.
Fans jenseits des Comic-Alters
Aus dem ehemaligen DDR-Vorzeigeobjekt wird so zunehmend ein umfassendes
Medienprodukt, das mit rund 30 Mitarbeitern einen Umsatz von fünf bis sechs
Millionen Mark erwirtschaftet, von denen ein Großteil in die weitere
Expansion fließt. Die Abrafaxe lassen sich sogar
international vermarkten. In der Türkei und demnächst in Griechenland
erscheint Mosaik in der Landessprache. Gerade hat der indonesische Großverlag
Pt. Gramedia eine Lizenz erworben. Wegen der
englischsprachigen Rechte sind Verhandlungen mit einem australischen Verlag
im Gange, und auch ein chinesischer Verlag will dabei sein.
Viele Fragezeichen stehen noch hinter der Zielgruppe der deutschen
Mosaik-Auflage von 120 000 Heften und der anderen Abrafaxe-Veröffentlichungen.
Analysen der Altersstruktur existieren nicht, aber sicher frönen viele
ehemalige DDR-Bürger ihrer Leidenschaft aus der Kindheit. So ist es kein
Wunder, dass aktive Fans wie der Alex-Vorsitzende Thomas Wilde (42) und
Michael Klamp (28) von der Mosaik-Initiative
Rostock bereits jenseits des klassischen Comicalters sind. Nach wie vor liebt
Klamp die Spannung in den Geschichten und "die
gut recherchierten historischen Hintergründe".
Der steigende Absatz lässt Schleiter hoffen, dass
auch mehr und mehr Kinder zu den Abrafaxen greifen.
Freilich beklagt er ein deutliches Ost-West-Gefälle: Nur jeder vierte Käufer
wohnt in den bevölkerungsstarken alten Bundesländern. "Und wir wissen
nicht, ob das in den Westen gezogene ehemalige Ostler sind oder wirklich neue
Leser", sagt der Mosaik-Chef.
[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
Dokument erstellt am 12.01.2001 um 21:13:03 Uhr
Erscheinungsdatum 12.01.2001
|